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14.05.2013

DowJones: Kartoffel-Kartell nicht vorverurteilen

Ergänzend zu seiner Mitteilung vom vergangenen Freitag, wegen des Verdachts auf unerlaubte Preisabsprachen seien zahlreiche Betriebe aus dem Bereich Erzeugung und Vertrieb von Kartoffeln durchsucht worden, hat das Bundeskartellamt am Montag zur Besonnenheit aufgerufen. Die Maßnahmen erfolgten auf Basis eines Anfangsverdachts . Seine Behörde stünde noch ganz am Anfang der Ermittlungen, betonte der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, in Bonn. Bis zur abschließenden Beurteilung des Sachverhalts habe daher die Unschuldsvermutung zu gelten. Mundt wies zudem Angaben über mögliche Kartellgewinne oder den potenziellen Schaden als zum jetzigen Zeitpunkt völlig verfrüht und reine Spekulation zurück.

Zu Forderungen nach Sonderregelungen für die Landwirtschaft im Kartellbereich stellte Mundt fest, dass solche Ausnahmen den Wettbewerb eher behinderten als ihn zu fördern. Ein Kartellverdacht sei sicher kein geeigneter Anlass, jetzt nach noch mehr regulativen Eingriffen in die landwirtschaftlichen Marktstrukturen zu rufen, machte der Präsident der obersten deutschen Kartellbehörde deutlich.Das jetzt vom Kartellamt in den Blickpunkt gerückte „Kartoffelkartell" macht nach Ansicht des Geschäftsführers des Bonner Beratungsunternehmens AFC Management Consulting, Otto Strecker, aber auch sichtbar, dass gerade im Agrar- und Ernährungssektor der Übergang von Erlaubtem zu Verbotenem für die Marktbeteiligten oft nur schwer zu erkennen ist.

Dazu trägt aus seiner Sicht die Politik wesentlich mit bei. So fördere etwa das erst im April dieses Jahres überarbeitete Agrarmarktstrukturgesetz gezielt den Zusammenschluss von Anbietern landwirtschaftlicher Produkte, erläuterte der Experte am Montag in Bonn. Dies gilt allerdings nur für Erzeuger, die grundsätzlich auch gemeinsam vermarkten. Um ein verbotenes Kartell handelt es sich hingegen, wenn sich reine Abpackbetriebe, die nicht zugleich auch Erzeuger sind, derart vereinigen. Schließen sich jedoch Erzeuger zu einem Kartell bzw. in diesem Fall zu einer sogenannten Erzeugerorganisation zusammen, könnten Sie beim Aufbau ihrer Lager-, Sortier- und Verpackungsinfrastruktur sogar mit staatlichen Zuschüssen rechnen, machte Strecker deutlich.

Er verwies zudem darauf, dass gerade in dieser Branche seit Jahrzehnten eine von der Politik, von Verbänden und Branchen-Einrichtungen wie dem ehemaligen Absatzfonds bzw. dessen nachgeordneten Einrichtungen CMA und ZMP gleichermaßen verfolgte Doktrin gelte, nach der alle Formen von Zusammenschlüssen, die sich gegen den Lebensmittelhandel und dessen Nachfragemachtrichten, gut und richtig sind. Begründung:

Dadurch werde die zu schwache Anbieterseite gestärkt. Mit dieser grundsätzlichen Einstellung und Gesetzen wie dem Agrarmarktstrukturgesetz, die daraus resultieren, leiste die Politik jedoch Missverständnissen zum Kartellrecht Vorschub, kritisierte der Chef der auf die Agrar- und Ernährungswirtschaft spezialisierten Beratungsgruppe. Daher verwundere es auch niemanden in dieser Branche, wenn etwa ein Bauernpräsident in aller Öffentlichkeit auch und gerade die großen Anbieter zu einem Milchpreis-Kartell aufrufe - wie beim Bauerntag 2010 geschehen. Auch ein Vertreter eines Vermarktungsverbundes regionaler Lebensmittelanbieter habe kürzlich erst öffentlich verlauten lassen, dass er bei den Verhandlungen mit dem Lebensmittelhandel mit am Tisch sitze und auf die Einhaltung von Mindestpreisenachte, berichtete Strecker. Eine negative Resonanz auf dieses kartellrechtlich bedenkliche Verhalten habe dieser Marktteilnehmer nicht befürchten müssen und auch nicht erhalten, konstatierte der Branchenkenner.

Als ein weiteres Beispiel für die in dieser Hinsicht unterschiedlichen Blickwinkel verwies Strecker auf die Preisfeststellungsrunden der ehemaligen Zentralen Markt- und Preisberichtstelle (ZMP) im Fleischbereich: Sie setzten zweimal pro Woche regionale Preise der Erzeuger als Abrechnungsbasis für die Schlachthöfe fest und nannten diese regionalen Preisabstimmungen „Moderation". Das Kartellamt wiederum bezeichne mit dem gleichen Begriff verbotene vertikale Preisabsprachen zwischen Herstellern und Handel, die in der Regel der Preispflege durch die jeweiligen Anbieter dienen, hob Strecker überdies hervor.

Der aktuelle Fall des „Kartoffelkartells" macht für ihn deutlich, dass die gesetzlichen Besonderheiten dieser Branche in Verbindung mit einer nur selten marktdominanten Stellung der mittelständischen Anbieter augenscheinlich die Sensibilität und das Verständnis der Wirtschaftsteilnehmer dafür beeinträchtigten, was erlaubt und was verboten ist. Die Komplexität des Kartellrechtes in Verbindung mit der besonderen Auslegung durch das Kartellamt im Lebensmittelsektor tue ihr übriges dazu, den Lebensmittelbetrieben den Umgang mit den rechtlichen Vorgaben zu erschweren, resümierte Strecker.

DowJones
Marktreport Fleisch & Milch
14. Mai 2013, S. 1-2