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02.04.2013

Großer Konsolidierungsbedarf - Die AFC im Interview mit der Zeitschrift agrarmanager

Im Interview mit der Zeitschrift Agrarmanager nimmt AFC-Vorstand Dr. Otto A. Strecker zu den Konsolidierungstendenzen in der Fleischwirtschaft Stellung.

"Großer Konsolidierungsbedarf"

am: In Ihrer jüngsten Studie prognostizieren Sie eine verstärkte Investitionsbereitschaft der fleischverarbeitenden Betriebe in den zwei kommenden Jahren. Was sind die wichtigsten Gründe?  

Nachdem der Bereich Schlachten und Zerlegen bereits stark konsolidiert ist, sehen wir einen sehr großen Konsolidierungbedarf auf den Bereich der fleischverarbeitenden Betriebe zukommen. In Deutschland gibt es rund tausend fleischverarbeitende Unternehmen im Bereich der Lebensmittelindustrie. Das wird angesichts der Konzentration im vorgelagerten und nachgelagerten Bereich dieser Unternehmen nicht so bleiben. Zu stark sind die Konzentrationen im Bereich Schlachten/Zerlegen einerseits und dem Lebensmittelhandel andererseits.

am: In den vergangenen Wochen haben das russische Importverbot für Fleisch aus drei Bundesländern, der Regierungswechsel in Niedersachsen und der „Pferdefleischskandal" die Stimmung in der deutschen Vieh- und Fleischwirtschaft eingetrübt. Werden sich diese Ereignisse auch negativ auf die Investitionsneigung der Branche auswirken?  

Russlands Importverbote haben vor allem etwas mit der unterschiedlichen Handhabung der Lebensmittelkontrollen in den Ländern und den dort zuständigen Kommunen zu tun. Aus Sicht einer zentralstaatlichen Behörde ist diese zersplitterte Zuständigkeit verständlicherweise kaum nachzuvollziehen und auch ein objektives Problem in Bezug auf das Durchsetzen einheitlicher Standards. Der Pferdefleischskandal ist dafür übrigens ein schönes Beispiel. Aus unserer Arbeit mit zuständigen Behörden wissen wir, dass angesichts knapper Kassen sich manche Länder und Kommunen am liebsten auf den reinen gesundheitlichen Verbraucherschutz konzentrieren würden. Demnach würde nur nach gesundheitsgefährdenden Stoffen und Hygienemängeln untersucht, nicht aber nach Täuschungstatbeständen. Lebensmittelkrisen werden uns auch in den nächsten Jahren gerade im Bereich der Fleischwaren weiter begleiten. Lebensmittelsicherheit ist insofern auch ein Treiber für den Investitionsbedarf der Branche.

am: Mehr als zwei Fünftel der fleischverarbeitenden Unternehmen haben nach der Studie im Jahr 2012 in Betriebserweiterungen oder Übernahmen investiert. Das waren 15 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Wie erklären Sie sich diesen Investitionsboom? 

Hier spielt sicherlich einerseits der Nachholbedarf eine Rolle. Andererseits heißt es in der Fleischverarbeitung nun wachsen oder weichen. Wer nicht investiert, wird den Strukturwandel nicht überstehen.

am: Profitieren von den höheren Investitionen der deutschen Fleischindustrie auch die heimischen Viehhalter und wenn ja, bei welchen Tierarten besonders?  

Einen ganz unmittelbaren Zusammenhang sehen wir aus den Daten nicht. Wir können hier nur spekulieren, zum Beispiel dass Investitionen in Lebensmittelsicherheit und Tierwohl natürlich auch die Anforderungen an die tierhaltenden Betriebe erhöhen werden. Vorteile ergeben sich daraus allenfalls langfristig für das gesamte heimische Qualitätsniveau und die Wettbewerbsfähigkeit.

am: 95 % der Fleischverarbeiter bevorzugen laut der Umfrage Deutschland als Standort für geplante Investitionen. Auf welche Standortfaktoren führen Sie diese „Deutschlandpräferenz" zurück?

Fleischprodukte und andere Lebensmittel haben oft eine regionale Prägung. Nürnberger Würstchen müssen in der Region produziert werden. Viele Wurstwaren beziehen ihre Identität aus der regionalen Herkunft. Ein großer Teil der Unternehmen ist mittelständisch geprägt. Schon der Export ist für diese Betriebe eine Herausforderung. Die Verlagerung von Betrieben oder Betriebsteilen oder auch die Expansion ins Ausland ist für diese Unternehmen oft ein zu großer Schritt.

am: Die deutschen Schlachtereien haben im Jahr 2012 erstmals seit 1997 wieder weniger Fleisch produziert. Wird sich der vom Statistischen Bundesamt gemeldete Rückgang bei Schweine- und Rindfleisch in diesem Jahr fortsetzen?

Die großen Megatrends im Konsum zielen auf eine gesündere und fleischärmere Ernährung pro Kopf. Bei stagnierender und alternder Bevölkerung wird aufgrund des geringeren Energiebedarfs älterer Menschen dieser Effekt langfristig tendenziell noch verstärkt. Wachstum kann also vor allem aus dem Export oder aus der Erhöhung der Wertschöpfung kommen. 

am: Wie beurteilen Sie auf längere Sicht die Exportaussichten für deutsches Fleisch?

Die Bemühungen um bessere Qualitäten und die stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten werden langfristig Wettbewerbsvorteile erzeugen. Auf kurze Sicht wird dies jedoch kaum den Export beflügeln. Diese Bemühungen zielen kurzfristig eher auf bestimmte Nischen im Inlandsmarkt.

am: Welche Auslandsmärkte sind langfristig besonders attraktiv? 

Unsere Hauptpartnerländer sind auch in näherer Zukunft unsere Nachbarn aus der EU. Sinkende Kaufkraft dort gefährdet die deutschen Absatzchancen. Neben der EU wird Asien besonders häufig als Exportziel genannt.

am: Seit kurzem bieten mehrere Unternehmen wie Vion, Westfleisch und Wiesenhof Fleisch unter Tierwohlsiegeln im deutschen Handel an. Halten Sie diese tierschutzorientierten Konzepte für chancenreich oder glauben Sie, dass sich der hohe Aufwand für Fleischhersteller und  angeschlossene Mastbetriebe nicht lohnt?

Wie bei allen Gütesiegeln, Prüfzeichen und Markenprogrammen ist die Frage, ob es eine zusätzliche Preisprämie für zusätzlichen Aufwand geben kann. Sicher ist, dass es keine multiplen Preisaufschläge gibt, etwa einmal für regionale Produkte, einmal für Tierwohl und einmal für fairen Handel oder für gentechnikfrei Fütterung. Das heißt, dass entweder ganzheitliche Konzepte wie z.B. von Bio-Anbauverbänden gefragt sind oder für bestimmte Nischen produziert wird, in denen für ein bestimmtes Kriterium bezahlt wird. Die generelle Preisbereitschaft erfordert aber eine substanzielle qualitative Differenzierung, die als solche auch kommuniziert werden muss. Die Nische darf also nicht zu klein sein, damit sich der Aufwand lohnt. Da derzeit unterschiedliche Verbünde von Fleischverarbeitern mit NGOs unterschiedliche Standards an den Markt bringen, wird es interessant zu beobachten sein, ob die Kommunikation der zugrundeliegenden Mehrwerte gelingen kann. Wir sind da eher skeptisch. Insbesondere muss der Abstand zum Standard erkennbar sein. Ob das zum Beispiel bei einem Mehr-Sterne-System schon beim ersten Stern hinreichend ist, erscheint uns unsicher.

am: In einigen EU-Ländern bieten immer mehr Landwirte und Schlachtereien im Rahmen wertschöpfungsorientierter Vermarktungsinitiativen konventionelles Premiumfleisch mit besonderen Produktvorteilen an. Diese Initiativen basieren oft auf Fütterungsmethoden ohne Gentechnik beziehungsweise Antibiotika oder mit einem erhöhten Anteil an ungesättigten Fettsäuren. Sind solche Premiumstrategien auch in Deutschland aussichtsreich?     

Auch hier gilt: Der Mehrwert muss kommunizierbar sein. Wenn das gelingt, sind diese Differenzierungsstrategien sinnvoll. Die Zeit der standardisierten Massenware ist endlich.

 

Dr. Otto A. Strecker ist Vorstand der auf die Agrar- und Ernährungswirtschaft spezialisierten AFC Consulting Group AG in Bonn. 

Die Druckversion des Interviews erschien in:
Agrarmanager, April 2013, S. 88