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19.01.2018

Lebensmittel Praxis: Augen aufhalten

Viele Verbraucher stehen der Fleischwirtschaft skeptisch gegenüber. Wie Unternehmen auf kritische Themen reagieren sollen, das wissen Dr. Otto Strecker und Markus Hinskes (AFC Consulting Group AG)

Kritische Themen, sogenannte Issues, treffen viele Unternehmen unerwartet und unvorbereitet. In Zeiten sozialer Medien, die eine milliardenfache Streuung von Themen erlauben, sind der arglose Umgang oder die fehlende Auseinandersetzung mit Issues ein Spiel mit dem Feuer. Schließlich hängt der Erfolg vieler Unternehmen stark von der guten Reputation ihrer Marken und Produkte ab.

Zahlreiche Verbraucher stehen der modernen Lebensmittelproduktion jedoch zunehmend skeptisch gegenüber. Insbesondere die Fleischwirtschaft genießt ein geringes Verbrauchervertrauen und wird als Branche mit am negativsten wahrgenommen. Diese Entwicklung spiegelt auch die Auswertung des AFC Issue Monitors wider. Von allen 1176 identifizierten kritischen Meldungen im Jahr 2016, befassten sich 203 mit dem Thema Tierhaltung. Die Branche „Fleisch und Fleischprodukte“ wurde mit 431 Meldungen mit Abstand am häufigsten adressiert. Dass dies kein neuer Trend ist, unterstreichen auch die Auswertungen des AFC Issue Monitors der vergangenen Jahre. 

Auch bekannte Trends und Themen muss man im Rahmen eines Issue Monitorings im Blick haben. Schließlich kann ein Thema jederzeit durch sich ändernde Rahmenbedingungen in veränderter Form erneut in den Fokus geraten. Beispiel Ferkelkastration: Nach den Vorgaben des Tierschutzgesetzes ist ab Januar 2019 die betäubungslose Ferkelkastration in Deutschland verboten. Dass hiermit das Issue aus dem Fokus der öffentlichen Diskussion rückt, ist jedoch ein Trugschluss. NGOs wie Provieh, Vier Pfoten oder der Tierschutzbund sprechen sich nun gegen die Alternativen, insbesondere die örtliche Betäubung, aus. Laut Kritikern könne eine falsche Injektion des Betäubungsmittels zu starken Schmerzen und zum Tod des Tieres führen.

Im Idealfall sollte ein Thema durch das Issue Monitoring jedoch in einer frühen Phase erkannt werden, möglichst bevor es stark in der Öffentlichkeit präsent ist. Dies schafft die Voraussetzung für eine aktive Auseinandersetzung und Zeit für die Entwicklung von Strategien im Umgang hiermit. Beispiel PMSG: 2017 wurde vermehrt Kritik an der Gewinnung und Verwendung des Pferdehormons PMSG laut. So prangert die Albert-Schweitzer-Stiftung an, dass das in Deutschland zur Brunstsynchronisation in der Schweinezucht verwendete Hormon aus dem Blut trächtiger Stuten auf sogenannten „Blutfarmen“ gewonnen werde. Tierschützer bezeichnen dies als „Pferdefolter“, da die Föten nach der Blutentnahme abgetrieben und viele Pferde die regelmäßige und „qualvolle“ Abnahme großer Mengen Blut nicht überleben würden. Zunehmend wird auch kritisiert, dass die Anwendung des Hormons bei Schweinen zu größeren Würfen führe und überschüssige Ferkel erschlagen würden. Trotz zunehmender Kritik am Thema sind keine Strategien der Unternehmen hierzu in der Öffentlichkeit feststellbar. 

„An issue ignored is a crisis invented”, wusste schon Henry Kissinger. Um das Verbrauchervertrauen in das eigene Unternehmen zu stärken, sollte also gerade für Markenunternehmen ein Issue Management nicht nur die Kür, sondern integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie sein. Hierzu zählen Identifizierung, Bewertung und Monitoring kritischer Themen wie auch die Ableitung und Umsetzung von Strategien zum Umgang hiermit. 

AFC Issue Monitor
Der AFC Issue Monitor befasst sich mit Monitoring und Risikobewertung relevanter Meldungen aus Online-Medien, NGOs, Verbraucherzentralen und Behörden. 2016 wurden 1176 Meldungen zu Issues der Agrar- und Ernährungsbranche identifiziert und mit Unternehmen Strategien zum Umgang hiermit definiert.

in: Lebensmittel Praxis, Ausgabe 01/2018 vom 19.01.2018, S. 11