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20.08.2012

AFC im Interview der Financial Times zu Rohstoffpreisen und Lebensmittelpreisen

Gewinner und Verlierer der Ernteausfälle

Die Dürre wirkt sich zusehends auf deutsche Firmen aus. Lebensmittelkonzerne fürchten steigende Rohstoffpreise, die Biokraftstoffbranche die politische Diskussion

Bislang ist es nur eine Ahnung. Die aber verheißt vielen Unternehmern sowie den Verbrauchern nichts Gutes. "Ereignisse wie die Dürre in den USA haben auch direkte Auswirkungen auf Unternehmen in Europa und Deutschland", sagt Anselm Elles, Vorstand des auf die Nahrungsmittelindustrie spezialisierten Beratungsunternehmens  AFC  Consulting Group in Bonn - und verweist auf die inzwischen engmaschigen, globalisierten Märkte.

Es ist die schlimmste Dürre in den USA seit vielen Jahrzehnten. Bald dürfte sie sich auch hierzulande niederschlagen, da die wirtschaftlichen Folgen schon jetzt umfassend sind. Bisher spüren vor allem Lebensmittelkonzerne die Auswirkungen. So hat der größte Fleischverarbeiter Nordamerikas, Tyson Foods, die Wachstumspläne gekippt und die Umsatzprognose für 2012 wegen der hohen Futtermittelpreise gesenkt: um 1 Mrd. Dollar auf jetzt 33 Mrd. Dollar. Aber auch die dänische Reederei Norden, die Rohstoffe transportiert, rechnet mit einem Auftragsrückgang. Vergangene Woche kündigte der Konzern, der im vergangenen Jahr 2,27 Mrd. Dollar erlöste, ein "extrem schwieriges Jahr" an.

Neben den vielen Verlierern gibt es allerdings auch Gewinner: Der Düngemittelhersteller K+S hat den Aktionären gerade eine höhere Dividende in Aussicht gestellt. Wenn die Agrarpreise nämlich anziehen, steigt der Anreiz für Landwirte, Extradüngemittel zu kaufen und damit die Erträge zu steigern. Der Saatguthersteller KWS wiederum hat kürzlich in Brasilien zwei Züchtungsunternehmen gekauft. Denn die brasilianische Landwirtschaft profitiert von den Ernteausfällen in den USA, weil Kunden mit Anfragen nach Brasilien ausweichen.

Wie konkret insbesondere die Deutschen - vor allem an der Supermarktkasse - die Folgen spüren werden, ist noch offen. "Mittelfristig werden die Preise auch für die deutschen Verbraucher steigen, insbesondere wenn sich die Rohstoffpreissituation weiter verschärft", heißt es bei der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), bei der unter anderem die Lebensmittelkonzerne Unilever und Nestlé Mitglied sind. Die Unternehmen selbst äußern sich nur vage. "Bei Agrarprodukten sehen wir mittel- und langfristig steigende Preise und stellen eine verstärkte Volatilität seit einigen Jahren fest", heißt es bei Unilever. Konkurrent Nestlé hofft auf ausgleichende Effekte: "Die Preise für Mais und Soja werden wegen der Dürre in den USA nach oben gehen", sagte Finanzchefin Wan Ling Martello Anfang August auf einer Investorenkonferenz, "aber die Preise für andere Rohstoffe fallen gleichzeitig wieder". So werde ein Ausgleich geschaffen.

Sollten die Preise steigen, erwartet Berater Elles, dass die Industrie auf den hohen Kosten wohl sitzen bleibt: "Die höheren Preise wird der Handel vor dem Hintergrund der Finanzkrise nicht so einfach an die Kunden weitergeben können." Zwar versuchten viele Unternehmen seit Längerem, sich auf eine Situation, wie sie jetzt eingetreten ist, vorzubereiten: Nach den heftigen Preissteigerungen 2007/08 habe es ein Umdenken gegeben, sagt Elles. "Viele Unternehmen haben ihre Lieferanten geprüft und versucht, sich bei der Beschaffung von Rohstoffen wie etwa Getreide auf größere Lieferanten zu stützen", sagt Elles. Nach Ansicht von Beobachtern wurde hierbei aber zu wenig in die Landwirtschaft investiert, was die momentan Situation verschärft.

Relativ neu in der Liste der Betroffenen ist - wegen der gestiegenen Nachfrage in den vergangenen Jahren - die Biokraftbranche. Obwohl die hiesigen Hersteller ihre Rohstoffe in der Regel aus Europa beziehen, leiden auch die deutschen Biokraftstoffproduzenten angesichts der höheren Weltmarktpreise. Schwerwiegender für die Anbieter ist jedoch die Diskussion "Teller statt Tank", die bei einer anhaltenden Dürre weiter an Fahrt gewinnen könnte. Mittlerweile hat sich das Infozentrum Zuckerverwender (IZZ) - das unter anderem den Schokoladenhersteller Barry Callebaut und Katjes vertritt - der Diskussion angeschlossen, die Entwicklungsminister Dirk Niebel angefacht hat: "Die einseitige Förderung von Bioenergie zulasten der Lebensmittelproduktion muss beendet werden. Vorrang für Lebensmittel", fordert Karsten Daum, Sprecher des IZZ.

Financial Times Deutschland vom 20.08.2012, Seite 5 / Unternehmen
Jennifer Lachman, Nicola de Paoli, Gregor Kessler