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08.12.2011

AFC-Experte im Interview mit Dow Jones zu Regionalsiegeln

Qualitätssicherung in der Region: 
Regionalsiegel nur sinnvoll ohne bundesweit einheitliches Label

Ein Qualitätssicherungssystem für Regionalsiegel ist per se kein schlechter Gedanke, stellt Otto Strecker, Vorstand der AFC Consulting Group in Bonn, im Gespräch mit Dow Jones Marktreport Fleisch&Milch fest. Ein bundesweites Regionalsiegel, wie es Bundesernährungsministerin Ilse Aigner (CSU) plant, ist nach seiner Ansicht allerdings nur dann sinnvoll, wenn man auf ein spezielles Label verzichtet, damit ein solches nicht in Konkurrenz mit anderen Kennzeichnungen tritt. Strecker plädiert stattdesssen dafür, Regionalsiegel oder Regionalmarken in einem übergreifenden Qualitätssicherungssystem zu akkreditieren und die vorhandenen Siegel lediglich mit einer entsprechenden Akkreditierungsnummer zu versehen. Damit sei nachvollziehbar, ob die Regionalmarken definierte Mindestanforderungen erfüllen, meint der Experte.

Bundesministerin Ilse Aigner will im Januar auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin Vorschläge für ein Regionalitäts-Label vorstellen. Halten Sie eine solche weitere Etikettierung für sinnvoll angesichts der Vielzahl bereits existierender Kennzeichnungen?

Otto Strecker: Nur begrenzt. Auf dem Produkt wird möglicherweise gar nicht genug Platz sein, um so viele Marken und Siegel unterzubringen: die Herstellermarke, das bisherige Regionalsiegel, ggf. ein Biosiegel und schließlich noch ein bundesweites Regionalsiegel obendrauf. Da wird es eng auf der Packung. Weniger wäre da ggf. mehr.

Sie waren als Leiter des Clustermanagements Ernährung.NRW an den Überlegungen in Nordrhein-Westfalen zur Einführung einer Regionalmarke für NRW beteiligt. Welche Lehren lassen sich daraus Ihrer Ansicht nach für ein bundesweites Regionallabel ziehen?

Otto Strecker: Eine Regionalmarke braucht Emotion und Begeisterung bei Herstellern und Händlern. Sie braucht aber auch Verbindlichkeit und Regeln. Dazu gehört es, ein Qualitätsniveau zu beschreiben, das erkennbar oberhalb des Standards liegt. Qualitätsparameter können dabei ganz unterschiedlich sein. Einem Projekt mag es zum Beispiel um die Haltungsform von Tieren gehen, einem anderen um die Vernetzung mit regionalen Wirtschaftskreisläufen. Was Qualität ausmacht, muss allerdings klar beschrieben sein, kommunizierbar sein und auch entsprechend kommuniziert werden.

Wie müsste ein Label, wie es Frau Aigner plant, konzipiert sein, um erfolgreich sein zu können? Ist Freiwilligkeit dabei sinnvoll?

Otto Strecker: Das, was als bundesweites Regionalsiegel geplant ist, macht vor allem dann Sinn, wenn man auf das Siegel dabei verzichtet, denn das zusätzliche Siegel tritt dann in Konkurrenz mit dem Regionalsiegel oder der Regionalmarke. Ein Qualitätssicherungssystem für Regionalsiegel ist per se kein schlechter Gedanke. Es würde allerdings reichen, diese Siegel in einem solchen System zu akkreditieren und die vorhandenen Siegel mit einer entsprechenden Akkreditierungsnummer auszustatten, so dass nachvollziehbar ist, ob Sie die entsprechenden Mindestanforderungen erfüllen.

Wie sehen Sie die Ernährungswirtschaft der Einführung des geplanten Regio-Siegels gegenüber eingestellt? Bei einem freiwilligen Label sollte dafür ja wohl eine gewisse Bereitschaft vorhanden sein. Oder gehen Sie davon aus, dass allein der Markt dem Regio-Siegel zum Durchbruch verhelfen wird?

Otto Strecker: Die Ernährungswirtschaft ist ja vielfältig in Ihrer Struktur und Ihren Interessen. Bestehende regionale Initiativen dürften vor allem Befürchtungen hinsichtlich der Konkurrenz des Siegels einerseits und ggf. unerfüllter Anforderungen andererseits haben. Darin liegt ein Zielkonflikt, denn genau die kleineren regionalen Initiativen sollen ja dadurch geschützt und gestärkt werden. 

Eigenmarken des Handels, die begrifflich mit regionalen Bezügen arbeiten (Unser Norden, Küstengold, Unsere Heimat NRW etc.) sind aufgrund der Kontrolle des Handels über seine eigenen Vertriebskanäle durch ein solches System nicht zu schwächen. Der Handel wird insofern kein Interesse an dem bundeseinheitlichem „Regionalsiegel" oder einem entspr. Anforderungskatalog haben. 

Zugleich entdeckt der Handel das Thema Regionalität als mögliches Differenzierungsthema auch jenseits der kritisierten Eigenmarken. Das Anspruchsniveau differenziert dabei deutlich von Produkten, die im Bundesland oder in einer Vertriebsregion verarbeitet wurden bis hin zu Produkten aus lokaler Produktion aus dem unmittelbaren Umfeld des jeweiligen Marktes unter Verwendung regionaler Rohstoffe. Auch in diesem Bereich dürfte der Handel keine Interesse an einer Vereinheitlichung von Standards haben, über die er sich gerade differenzieren will. 

Die Industrie sieht im Thema Regionalität die gleichen Chancen wie der Handel. Sie hat zugleich Sorge, dass die Positiv-Kennzeichnung eines bundesweiten Siegels anderen Regionalbezüge diskriminiert. Sind alle Herkunftsangaben, die kein EU-Geo-Kennzeichen oder ein Bundessiegel tragen zukünftig unseriös? Ist ein Capri-Eis schon eine Täuschung, eine Konserve mit Königsberger Klopsen nicht mehr korrekt? Am Beispiel auch zukünftig wohl nicht zu unterbindender Markennamen mit Regionalbezug und Gattungsbezeichnungen zeigt sich, dass man das Thema Regionalität nicht umfassend regeln kann. Der Versuch das über ein Siegel zu lösen, wird Stückwerk bleiben müssen. Er ist zum Scheitern verurteilt. 

Wie sollte Ihrer Ansicht nach der Begriff „regional" definiert werden und wie groß müsste der Anteil von Rohstoffen „aus der Region" sein? Welche Verarbeitungsschritte müssen dort erfolgen, und woe lässt sich geografischer regionaler Radius sinnvoll abstecken?

Otto Strecker: Das muss jedes Regionalprogramm für sich entscheiden. Es entzieht sich auch einer zentralen Regelung. Es dürfte allerdings klar sein, dass Verbraucher einen Rohstoffbezug erwarten, bei Produkten, die gezielt mit dem Hinweis arbeiten, aus einer bestimmten Region zu stammen. Es ist nicht akzeptabel, wenn in der Region nur die Verpackung stattfindet oder ggf. auch nur die Verarbeitung von Rohstoffen, die gar nicht aus der Region stammen. Wer die Verbraucher so täuscht, wird dauerhaft vom Markt bestraft. Ein als regionales Produkt beworbenes Erzeugnis muss von seinen Rohstoffen erstens überwiegend und zweitens so weit wie technisch möglich mit Rohstoffen der jeweils definierten Region stammen. Im Einzelfall sind das also Anteile zwischen 50 und 100 Prozent. 

Es muss aber erlaubt bleiben, eine Eigenmarke nach z.B. der eigenen Region zu benennen, auch dann, wenn die darunter vertriebenen Produkte nicht gleichzeitig klassische Regionalprodukte sind. Warum also soll es kein Olivenöl einer Marke Küstenwind geben dürfen? Erwarten wir eigentlich demnächst auch, dass die Fasern einer Textilie, die unter dem Label „New Yorker" verkauft werden, aus der gleichnamigen Metropole stammen? Der Verbraucher weiß übrigens auch zu differenzieren zwischen Herkunftsbezeichnungen von Frische-Produkten wie „Deutschen Erdbeeren" und den regionalen Bezügen in den Namen von Rezepturen und in den Gattungsbezeichnungen verarbeiteter Produkte. Dass der Königsberger Klops sich in Gastronomie und Lebensmittelindustrie auf eben den Ursprung des Rezepts bezieht, ist den meisten Verbrauchern wohl ebenso klar, wie dies bei Berliner Pfannkuchen, russischen Eiern, rheinischem Sauerbraten, dem Wiener Schnitzel und auch dem zuletzt oft in die Diskussion gezerrten Schwarzwälder Schinken der Fall ist.

Um glaubhaft zu sein müsste die Einhaltung der Kriterien des Regional-Labels konsequent kontrolliert werden. War das auch für NRW so angedacht?

Otto Strecker: Natürlich. Ohne Kontrolle und auch Sanktionen wird jedes Qualitätsversprechen unglaubwürdig. Verantwortlich dafür ist jeweils der Inhaber der Marke odes Siegels. Das kann ein Handelsunternehmen, ein Verein oder eine andere Trägerorganisation sein.

Bedeutet ein Label, das Verbraucheransprüchen gerecht werden soll, zwangsläufig, dass man der Ernährungswirtschaft damit „vor‘s Knie tritt"?

Otto Strecker: Nein. Man kann ein Label, das am Markt bestehen soll, ohnehin nur mit den Beteiligten und nicht gegen sie entwickeln. Beim Bio-Siegel ist das anders. Es ist die Umsetzung eines entsprechenden EU-weiten Normenwerks, das den Gebrauch des Wortes „Bio" reglementiert. 

Regionale Bezüge in Lebensmittelbezeichnungen und Marken zu verbieten ist faktisch gar nicht möglich. Insofern wird es keine Wiederholung des erfogreichen Bio-Siegels beim Thema Regionalität geben.

Dow Jones Marktreport Fleisch&Milch, 8.12.2011